Mittwoch, 27. Februar 2013

Eine perverse Reise durch Dessau - Teil 1

Es zieht mich von Osten aus kommend in die Region um Dessau, um mich herum stehen fast nur Eichenbäume, alte Relikte aus vergangener Zeit, die nie zur Forstwirtschaft gezwungen wurden und als Kiefern oder Fichten endeten, und auch Buchen haben sich noch nicht eingeschlichen. Nur gigantische Eichen, so weit das Auge reicht, dazwischen wächst Gras. Also zieht es mich weiter nach Westen, da ich aber nicht durch die Mulde schwimmen will, muss ich natürlich die einzige Anbindung aus dem Osten nutzen, die Dessauer Friedensbrücke. Es gibt zwar noch die Bogenbrücke und die Tannenhegerbrücke im Süden, aber die kann man nur per pedes überqueren.

So erreichen wir die Stelle, an der die A9 die B185 kreuzt und befinden uns im Stadtteil Mildensee und finden einen kleinen Fernsehturm und ein Gewerbegebiet vor und dahinter einige kleinere Höfe, die schon seit paar hundert Jahren dort stehen. Ein Gedränge an Autos, denn irgendwo muss ja alles lang, sogar neben der Polizeiaußenstelle, bei dem Restaurant mit dem gelben M stehen viele Autos, wollen bestimmt alle nur auf die Toilette.
Mehr gibt es hier nicht zu sehen, also reise ich weiter und komme in den Stadtteil Waldersee und sehe schon einen gewaltigen Unterschied zu Mildensee. Keine alten Höfe, sondern vorwiegend Einfamilienhäuser, die zwar nicht die neusten sind, aber anscheinend alle komplett saniert wurden sind. Nachdem ich einige Straßen durchquert habe, stoße ich doch noch auf ein unsaniertes Haus, das mich im alten putzgrau anstarrt, als ob es mir sagen will: "Ich bin ein Außenseiter, ich mag hier nicht mehr sein." Seine Fassade zieht eine Linie, eine waagerechte Linie, die ungefähr in meiner Kopfhöhe ist und schnurstracks gerade ist. Sie scheint von Wasser gezeichnet und ist auf das Hochwasser 2002 zurückzuführen. Ein altes Foto von der Jahrtausendwende zeigt ein vollkommen anderes Bild, hier sind fast alle Gebäude noch grau, anscheinend sind die Menschen hier alle durch die Versicherung reich geworden und leben nun in schicken Häusern und trinken gerne mal ihren Schampus.
v.l.n.r. Johannbau, Marienkirche, Rathaus
Wieder zurück auf der Hauptverkehrsader sehe ich nur ellenlangen Stau, an der Friedensbrücke verengt sich die 4-spurige Straße auf zwei Spuren, da letztes Jahr Statistiker merkten, dass die Brücke alt sei und nun wird drei Jahre dieser Zustand gehalten, bis etwas geändert wird. Den Blick nach oben gerichtet, sehen wir das Antlitz von Dessau hinter der Mulde und sehen geradezu den Turm der Marienkirche und ein Stück rechts das Rathaus. Weiter links und in der Ferne steht noch ein riesiger Schornstein, laut der Aufschrift gehört er zu den Stadtwerken, weiter sind noch einige Kirchen zu sehen und im Vordergrund ein älteres Gebäude, dass einem Schloss gehörig sein musste. Der Johannbau, der Westflügel des Residenzschlosses, der Rest verschwand im 2. Weltkrieg, so wie auch weitere 90% der Innenstadt, was der Stadt eine recht einseitige Architektur gibt.
Weiter geht es. Hinter dem Rathaus befindet sich eines der neueren Gebäude, das Rathaus-Center, eine Einkaufspassage, die in den 90er Jahren auf dem damaligen Marktplatz gebaut wurde, danach war der alte Marktplatz wieder Alleiniger, direkt vor dem Rathaus. Ich gehe in das Rathaus-Center rein und werde von den Menschen mit interessierten, aber auch angewiderten Blicken angeguckt, bis mir auffällt, dass es nur Rentner sind. Junge erwachsene Menschen, wie mich sind hier fehl am Platze, alle ausgewandert, um Arbeit zu suchen, denn hier wird jeder vierte Arbeitstüchtige zu Hause sitzen müssen. Ich schlängle mich durch altes Fleisch und versuche mich nicht von Rollatoren überfahren zu lassen, denn das alte Volk hat es eilig, beim Shoppen in C&A und co., um die angesagte Mode in altrosa zu kaufen, aber graue Jacken scheinen doch beliebter zu sein. Hinter einer Rolltreppe dann meine Rettung. Junge Menschen, aber wie ich sehe, sind sie noch nicht einmal volljährig und müssen noch in der Schule bleiben, bis sie nach ihrem Abschluss die Reise gen Westen antreten, und ihrer Heimat auf Nimmerwiedersehen sagen. 
Raus aus diesen Oma-Laden. Ein paar Ecken weiter wieder ein recht neues Gebäude. Seniorenresidenz? Was sagt das Internet eigentlich dazu? "15 Treffer für Senioreneinrichtungen in Dessau" und das bei ungefähr 70.000 Einwohnern. Solange die Schulen geschlossen werden, wird die Zahl der alten Leute bestimmt zurückgehen. In Wohngebieten türmen sich Plattenbauten, zumindest in den südlichen Teilen des Nordteils. DDR lässt grüßen. Weiter in den Norden werden die Wohngebiete schon qualitativ besser und noch weiter steht eine Villa neben der Nächsten. Altehrwürdige Gebäude, die schon einige Jahrzehnte dort stehen. Früher wohnte dort das wohlhabende Volk, heute werden sie zu Mehrfamilienhäusern degradiert, oder enden als Wohngemeinschaften, Ärztehäusern oder Anwaltskanzleien. 
Weiter nach Norden blicke ich nur und sehe dort nur noch etwas verlassenes Gewerbe und das große blaue Gebäude aus Stahl und Glas vom ehemaligen Waggonbau, wo damals jeder zweite Dessauer arbeitete. Eine Umgehungsstraße, die die Autos von Roßlau in Richtung Westen um die Innenstadt leitet zweigt hier ab und führt vorbei an alten verlassenen Baracken, wo früher Arbeiter wohnten. Im letztem Schuppen vor dem Bahnhof prangert das Schild "Beatclub", hier also treffen sich die Minderjährigen der Gegend und gehen zu afroamerikanische Musik voll ab, anscheinend hat keiner Angst, dass das Gebäude einstürzen könnte.
Bevor mich jemand anspringt, weil ich hier herumlungere, gehe ich weiter zum Bahnhof.

Fortsetzung folgt...


Anmerkungen:
- Ich selbst habe von 1990 bis 1998 in Nord (nördliche Innenstadt) in einem Plattenbau gewohnt, davor in einer Altbauwohnung in der südlichen Innenstadt.
- Bis auf meine Oma mütterlicher Seite, haben alle im Waggonbau gearbeitet, von denen, die ich kennengelernt habe.
- Das Bild entstand von der, mir genannten, Bogenbrücke an einem schlechten Tag mit Mulde-Hochwasser im Januar und verstärkt den recht grauen Eindruck den Dessau auf seine Einwohner hinterlässt.
- die Ortslage stimmt nicht komplett mit der Realität überein. Die Eichenwälder wachsen nur im Gebiet der Mulde und nicht östlich von Milden-/Waldersee.
- Hier noch ein >schickes Panoramabild< von Wikipedia, aber der Ausgangsort zeigt das Gebiet der verfallenen Baracken, aber auf der anderen Seite des Bahnhofs. Hier sind schon alle abgerissen wurden und es befindet sich eine Grünfläche, wo eigentlich auch nur Hunde draufgehen, um ein stilles Örtchen zu suchen

Euer Wetterschaf

1 Kommentar

  1. .... ich warte dann mal auf die fortsetzung...gerade kam ich mir wie der totale spanner vor, der auf deiner schulter hockt und schmult, wo du da langwanderst und was du so erlebst --- sehr gut geschrieben schaf ^^ ich konnte das altrosa direkt vor mir sehn!!

    AntwortenLöschen