Donnerstag, 1. November 2012

Der Neuzeit-Goethe

Es ist vorbei. Also der Oktober ist rum. Wer hätte es geahnt. Heute ist in anderen Gebieten in Deutschland Allerheiligen, hier nicht und gestern war der Vorabend zu Allerheiligen, All Hallows Eve, Halloween, dass mir in meiner Kindheit überhaupt nicht bekannt war, trotz einiger Filme, die im Fernsehen liefen. Aber das ist wie mit anderen Gebräuchen, zum Beispiel aus den asiatischen oder orientalischen Gebieten, die man möglicherweise zwar kennt, aber sonst nicht beachtet. Auch im Umfeld, sprich meines Freundeskreises in meiner Kindheit kam niemand auf die Idee sich Ende Oktober auf irgendeine Weise zu verkleiden. Das seltsame Fest, dass auf das keltische Samhain zurückführt, schien erst nach der Jahrtausendwende gefallen in der deutschen Unkultur zu finden, als es zuvor in Amerika schon sehr stark kommerzialisiert wurde.
Heute dürfen die Katholiken die Sau raus lassen, wobei dies so nicht stimmt. Sie haben zwar größtenteils einen arbeitsfreien Tag, aber Allerheiligen hat überhaupt nichts mit Feiern zu tun. Gewidmet ist der Tag an die zahllosen Heiligen, die die Kirche ernannt hat. Und es wäre schon unrecht würde man jedem Heiligen einen Feiertag widmen, dann hätten die Katholiken fast jeden Tag im Jahr frei. Allerheiligen ist ein stiller Feiertag, das heißt dass im gesamten katholischem Gebiet niemand tanzen darf oder laute Musik hören sollte. Es ist verboten. Eigentlich wäre dies ein gutes Geldgeschäft für das Land, wenn die Polizei lautstarke Jugendliche abstrafen würde, aber wahrscheinlich wird das nicht getan. Vielleicht würden dann die jungen Leute erfahren, warum ausgerechnet dieser Tag frei ist. Bildung hat noch nie jemanden geschadet.
Lieber werden die Kinder in der Schule herabgestuft, wo sie noch weiter in den Keller getrieben werden, anstatt gefördert zu werden. Deutschland das Land der Dichter und Denker. Der Satz könnte so schön sein, wenn er doch jetzt noch wahr wäre. Aber nicht umsonst wird die heutige Generation als "Generation Chancenlos" betitelt, wie ich nicht nur in objektiven Informationsportalen, sondern auch schon in den Kommerziellen lesen durfte. Die letzten großen deutschen Denker, die mir ein Begriff sind, fallen in das frühe 20. Jahrhundert und sind mit dem Ende des zweiten Weltkrieges verschwunden, oder haben ihren Lebensabend in Amerika verbracht und starben dort auch, nicht das einer denkt, die spielen da immer noch jeden Montagabend Bingo oder gehen sonntags kegeln, so wie es sich für gestandene Denker gehört.
Wie es mit Dichtern aussieht, weiß ich nicht zu sagen. Impressionisten, wie Rilke sollten noch ein Begriff sein, aber danach hört es leider schon auf. Vielleicht kommt doch noch mal ein Neuzeit-Goethe, der den Deutschlehrern der Zukunft ordentlich Stoff gibt. Möglicherweise gibt es keine guten Dichter mehr, weil bewusstseinserweiternde Drogen verboten sind. Viele gute Lieder sind unter dem Einfluss von LSD und ähnlichen Substanzen entstanden. Man schaue sich die Beatles an. Aber anscheinend sehen bei so einem Trip auch bestimmte Frisuren ganz gut aus. Wer weiß. Eine Möglichkeit wäre, dass früher die Leute nichts zu tun hatten und deshalb Gedichte, ganze Bücher oder Relativitätstheorien schrieben.
Heute nutzt man doch lieber Gesichtsbücher, wo in jedem Zweiten das Gleiche drin steht. Also vom Schema. Wann habt ihr das letzte Mal ein Kind, das älter als 10 Jahre ist, auf der Straße, Wiese oder im Wald spielen sehen, mit seinen besten Freunden? Lange ist es her. Sie spielen jetzt Facebook über ihre Mobiltelefon, während sie vorm Fernseher sitzen und gar nicht wissen was dort läuft und verlassen nur ihr Zimmer, um zu Essen, aufs Klo zu gehen, oder wenn es doch mal in die Schule geht, wo sie übrigens auch nur über ihre Telefone hängen, anstatt aufzupassen und etwas für das spätere Leben zu lernen. Da wären wir wieder bei unserer wichtigsten Generation.
Wie erklären sie dann später mal ihren Kindern, wie die Welt funktioniert, wenn sie nur wissen, was das eigene Berührungsbildschirmtelefon alles auf dem Kasten hat. Und Kasten passt wirklich schon sehr, da sie mittlerweile in keine Tasche mehr passen. Bald sind wir wieder bei den großen gelben Telefonzellen, nur mit graphischer Bedienoberfläche, die dann durch Ultramegagigahyperleichtbauweise auch noch tragbar sind oder wahrscheinlich doch auf Rollen bewegt werden müssen, so wie es jetzt schon mit den Schultaschen passiert ist.
Zu unserer Schulzeit hatten wir noch Muskeln in den Schultern und haben unsere 20 Kilogramm Ranzen auf dem Rücken getragen. Jeden Tag. In naher Zukunft kriegen die Rollranzen noch Elektromotoren, damit man ihnen nur noch die Richtung weisen muss, aber das wird auch noch optimiert und per Fernsteuerung wird das Gefährt bewegt. Vielleicht kommt es gar nicht dazu, weil die Schule dann über das Internet stattfindet und man nicht mal mehr das Zimmer verlassen muss. Da wünscht man sich doch liebend gerne den Rohrstock zurück, wenn man solche Gedankenrichtungen einschlägt. Eine frohe Zukunft.

Euer Wetterschaf

1 Kommentar

  1. In der Arte-Dokumentation "Endstation Fortschritt" wird das anhand des Mammuts schön erklärt. Die Menschen haben einen Speer gebastelt um ein Mammut zu töten und sich und ihre Familie zu versorgen. Das war ein Fortschritt. Dann haben sie mit der Zeit Speer-Tricks erlernt und konnten mit einem Speer gleich zwei Mammuts töten. Immer noch ein Fortschritt. Dann haben sie gelernt die Mammuts mit Hilfe des Speers in eine Falle zu locken, sodass 10 Mammuts den Abhang runtergefallen sind. Zuviele für den Eigenbedarf. Also wurde damit gehandelt. Irgendwann kann man soviel Fleisch nicht mehr lang genug lagern, also muss man Kühlschränke bauen. Die fressen wiederum Strom. Heute darf die Kühlkette nicht unterbrochen werden. Wo endet der Nutzen von Fortschritt? Willkommen im Land der Richter und Henker.

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